Donnerstag, 14. Juni 2012

(M)ein Leben mit der Stasi-Akte

Etwas, was mich mein Leben lang nicht mehr loslassen wird, ist meine Zeit in der DDR, ein Land, in dem ich aufwuchs und das ich im Laufe der Zeit zu hassen lernte, weil es sein Bürger einsperrte und sie mit einer strengen, rigiden Zensur entmündigte.

Und darum denke ich, ist es mal wieder an der Zeit, daran zu erinnern, wie (m)ein ganz persönliches Schicksal in dieser Diktatur (des Proletariats), in dem die "Partei immer recht hatte", aussah. Aus Anlass des "50 Jahrestags des Mauer-Baus" erschien am 13. August 2011 der folgende Artikel von mir in der Sächsischen Zeitung:

Diese Bild-Collage stand im Zentrum des Zeitungsartikels.

Jens Ostrowski "Die Akte Koß"


Die Wende rettet Thoralf Koß an der Mauer das Leben. Die Stasi war ihm vier Jahre lang auf den Fersen. Das belegt seine Akte.


 Es ist nur eine von wohl hunderten Akten, die von der Staatssicherheit über Riesaer Bürger angelegt worden sind. Doch schon diese eine legt auf 270 Seiten das menschenverachtende System der DDR gnadenlos offen. Sie zeigt wie Menschen manipuliert, bespitzelt und erniedrigt worden sind. Und sie enttarnt Inoffizielle Mitarbeiter, die heute noch in Riesa eine Rolle spielen. Darunter ein Arzt, eine Lehrerin und ein ehemaliger hoher Fußball-Funktionär. Der Redaktion sind ihre Namen bekannt.

Diese Drei gehörten zu einem Informanten-Netz der Stasi. Sie haben den heutigen Grünen-Stadtrat Thoralf Koß Ende der 80er Jahre ausspioniert, überwacht und verraten – und damit letztlich auch sein Todesurteil unterschrieben. Dass es nie vollstreckt wurde, hat er allein der Wiedervereinigung zu verdanken. Sie kam den Mördern zuvor.

Aber von vorne.


DDR war ein Unrechtsstaat“


Thoralf Koß erscheint in der Redaktion. Unter dem Arm klemmt ein Bündel Kopien. Es ist ein Großteil seiner Stasi-Akte. „Ich lege vor Ihnen alles offen. Auch Namen“, sagt Koß. Über zwanzig Jahre nach der Wende ist er entschlossener als je zuvor, die Machenschaften der Stasi in Riesa aufzudecken. „Mir ist bewusst, dass ich in den Augen einiger Ewiggestriger als Nestbeschmutzer gelten werde“, sagt Koß. Doch das ist ihm egal. „Wer bis heute nicht verstanden hat, dass die DDR ein Unrechtsstaat war, dem ist nicht mehr zu helfen.“

Dass das System keine Kritik zulässt, erfährt Thoralf Koß schon 1981 während seines Studiums in Magdeburg. Damals erlebt er, wie ein Kreis kritischer Studenten exmatrikuliert wird, weil sie Jacken mit dem Logo „Schwerter zu Pflugscharen“ tragen, dem Symbol staatsunabhängiger Abrüstungsinitiativen in der DDR. „Man hat sie zum Direktor bestellt, ihnen die Aufnäher abgerissen und sie der Hochschule verwiesen. Ihre Zukunft hatten sie verspielt.“

Lügen der Partei entlarvt


Der Sport- und Germanistik-Student Koß hat seine Zukunft noch vor sich. Er will Lehrer werden, Schüler zu kritischen Menschen erziehen. Der Staat aber braucht gute Sozialisten, die sich in den Gleichschritt des Regimes einreihen. Schon im Parteilehrjahr direkt nach dem Studium weigert er sich gegen die Indoktrination. „Diese ganzen Lügen habe ich nicht hingenommen.“ Seinen Schülern soll er die Berliner Mauer als „Antifaschistischen Schutzwall“ verkaufen. Er fragt: „Wenn die Mauer uns doch vor dem bösen Westen schützen soll, wieso stehen die Grenzsoldaten dann in Blickrichtung Osten?“ Es ist das erste Mal, dass er auffällt.

Nach einem Jahr als Lehrer an einer Schule in Nienburg muss er umziehen. Weil seine Tochter unter Asthma leidet, hervorgerufen durch Ausstöße des Kalkwerks. Das sagt ihm ein Arzt. Offen aussprechen darf er es nicht. „Es gab doch in der DDR-Industrie keine Umweltprobleme“, sagt Koß ironisch. Seinen Wechsel muss er mit einem Vorwand begründen. Er zieht mit seiner Familie nach Riesa, der Heimatstadt seiner damaligen Frau.

Am ersten Schultag an der Riesaer Hermann-Matern-Schule teilt ihm Direktorin das oberste Ziel mit: militärische Nachwuchsgewinnung. Koß soll seine Schüler für die NVA anwerben. Das lehnt er strikt ab: „Ich habe die Verantwortung für die jungen Menschen, und werde sie nicht in ihr Unglück stürzen.“ Wieder fällt Koß dem Regime unangenehm auf. Die Staatssicherheit schreibt mittlerweile mit.
Dieses Bild entstand unmittelbar
nach dem Interview zum Zeitungsartikel.
Und ich denke, man sieht mir auch hier an,
wie sehr mich noch heute dieses Thema belastet
und mitnimmt!

Schon beim ersten Elternabend in Riesa sitzt ein hochrangiger Stasioffizier im Publikum. In der hintersten Reihe nimmt die SED-Parteisekretärin Schumann Platz. Und Koß provoziert weiter, spielt sogar einen Freiheits-Song des in der DDR verbotenen Liedermachers Stephan Krawczyk. Der Abend bleibt vorerst ungesühnt. Doch die Mühlen der Stasi-Maschinerie lassen sich nicht mehr aufhalten.

Der große Bruch mit dem Staat kommt für Koß mit dem Tod seiner geliebten Großmutter im Juni 1987, die in Frankfurt am Main lebte. Der Ausreiseantrag wird abgelehnt. Im Präsidium Riesa wird ihm von einer Volkspolizistin unverblümt mitgeteilt: „Lehrer fahren nicht zum Klassenfeind in den Westen.“ Doch Koß geht es nicht um Politik. Er will seine Großmutter verabschieden. Mehr nicht. „Ich bin nach Hause gefahren und habe geheult. Erstmals wurde mir bewusst, dass ich in meinem Heimatland eingesperrt werde.“

Mittlerweile ist Koß an die Schule Röderau gewechselt. Am nächsten Tag steht er vor seinen Schülern, malt die Umrisse der DDR an die Tafel und sagt: „Wie würdet ihr euch fühlen, wenn ihr von eurem Vater im Kinderzimmer eingesperrt würdet und nur zu Essen und zu Trinken bekämt?“ Es ist der Anfang seines aktiven Widerstands gegen die DDR-Diktatur. Er klärt Schüler auf, wo er kann, schließt sich der Widerstandszelle in Riesa-Weida um Andreas Näther an, die Beziehungen zum „Neuen Forum“ pflegt.

Die Bürgerbewegung wird einen großen Anteil an der Wiedervereinigung haben. Die Riesaer arbeiten im Untergrund, vervielfältigen Informationen des Forums und versuchen, weitere Mitstreiter zu gewinnen. Koß‘ Stasi-Akte besitzt mittlerweile die Abkürzung PID. Er wird von der Staatssicherheit als „Höchstes Sicherheitsrisiko“ eingestuft.

Von der Kollegin verraten

Als er an seiner Schule einer Freundin und Kollegin von seinem Widerstand erzählt, wird er bitter enttäuscht. „Sie hat mich bei der Schulleitung verraten.“ Diese Lehrerin, die noch heute am Städtischen Gymnasium unterrichtet, wird für ihre „Heldentat“ von der Partei geehrt. Alle Kollegen müssen sich noch am gleichen Tag gegen Koß positionieren. Heiko Hetzer als einziger Kollege, der ihn nicht mit verurteilte, wurde als Gefährdung für die Lehrerschaft namentlich der Stasi benannt.

1989 bricht die Zeit an, in der die Stasi Koß’ nach dem Leben trachtet. Im Alter von 26 Jahren wird er zur Volksarmee eingezogen. Lehrer sind in dieser Zeit eigentlich freigestellt, weil es zu wenig Kräfte an den Schulen gibt. Sein Einsatzort: die Berliner Mauer. Die Psychologin in der Stasi-Unterlagenbehörde erklärt ihm, was das bedeutete: „Man wollte mich an der Mauer sterben lassen“, sagt er. Sieben Tage später fällt die Mauer.

Die größte Enttäuschung aber steht ihm noch bevor. Sie wird ihm einen Tag bevor er seine Stasi-Akte einsehen darf von einem nahestehenden Verwandten bereitet. Er beichtet, was sowieso herauskommen wird. Er hat Thoralf Koß über mehrere Jahre bespitzelt. Sogar das Familienfoto, das das Ehepaar Koß nur für ihn anfertigen ließ, findet Koß in der Stasi-Akte wieder. „Das ist ein scheiß Gefühl“, sagt er.

Am Ende fragt die Mitarbeiterin der Unterlagenbehörde, ob er informiert werden wolle, sobald weitere Dokumente über ihn gefunden werden. Koß verneint. Er hat genug von Enttäuschungen.
"The Wall" von PINK FLOYD gehört nicht
umsonst zu einem meiner absoluten Lieblingsalben!













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